Unlizenzierte NTSC-Games (Nordamerika)

von Björn Eimer


Der Lockout-Chip war Nintendos mächtigstes Mittel zur Kontrolle über den Videospielmarkt. Auf diese Weise konnte weitestgehend darüber bestimmt werden, wer Spiele für das NES veröffentlichen durfte. Die von Nintendo an Unternehmen erteilte Lizenz begrenzte die jeweilige Veröffentlichung auf gerade einmal fünf Spiele pro Jahr. Zudem mussten diese Games für die ersten zwei Jahre NES-exklusiv sein. Einige Videospiel-Unternehmen klagten vor Gericht gegen dieses Machtinstrument von Nintendo, doch hielt sich der Lockout-Chip während der gesamten Lebensspanne des NES. Außerdem zeigte sich auch Nintendo äußerst klagefreudig.

 

Color Dreams, Wisdom Tree & Bunch

Das US-amerikanische Unternehmen Color Dreams kaufte zunächst die Rechte an mehreren unlizenzierten Games aus Fernost entwickelte ab 1988 selbst Spiele für das NES. Diese hatten allerdings mangels Qualität (wegen fehlender zeitlicher und finanzieller Ressourcen) schon bald einen gewissen Ruf. Um weiterhin auch minderwertige Games publizieren zu können, ohne dass dabei das Image des Unternehmens in Mitleidenschaft gezogen würde, wurde zusätzlich das Label „Bunch Games“ gegründet. Wenn Spiele so schlecht waren, dass sogar Color Dreams sie nicht unter ihrem eigenen Namen herausbringen wollten, will das schon etwas heißen. Das dritte Label des Unternehmens wurde 1991 gegründet und existiert – unabhängig vom einstigen Mutterkonzern, der mittlerweile in der Kameratechnologie tätig ist – sogar heute noch. Unter dem Label „Wisdom Tree“ wurden Videospiele mit christlichem Inhalt publiziert. Obwohl Nintendo eine klare Linie zu religiösen Motiven in ihren Videospielen fuhr (weshalb beispielsweise das Blackbox-Game „Devil World“ sowie der Konami-Titel „Noah´s Ark“ nicht in den USA erschienen), ist „Wisdom Tree“ das einzige Label unlizenzierter Spiele, gegen das Nintendo niemals Klage einreichte – vermutlich befürchtete man ein Public Relations-Desaster.

Die Wisdom Tree-Games sind teils abgewandelte Color Dreams-Games (Exodus = Crystal Mines, Sunday Funday = Menace Beach) und waren interessanterweise der größte Erfolg unter den drei Labels.

 

Color Dreams:

  • The Adventures of Captain Comic
  • Baby Boomer
  • Challenge of the Dragon
  • Crystal Mines
  • King Neptune´s Adventure
  • Master Chu and the Drunkard Hu
  • Menace Beach
  • Metal Fighter
  • Operation Secret Storm
  • Pesterminator: The Western Exterminator
  • The P´radikus Conflict
  • Raid 2020
  • Robodemons
  • Secret Scout
  • Silent Assault

 

Wisdom Tree:

  • Bible Adventures
  • Bible Buffet
  • Exodus: Journey to the Promised Land
  • Joshua and the Battle of Jericho
  • King of Kings
  • Spiritual Warfare
  • Sunday Funday

 

Bunch:

  • Castle of Deceit
  • Galactic Crusader
  • Mission Cobra
  • Moon Ranger
  • Tagin´ Dragon

 

AVE

„American Video Entertainment“ (AVE), ein Unternehmen aus Kalifornien, entwickelte zwei Games selbst und veröffentlichte 16 weitere, die größtenteils aus Taiwan stammten. Zur Abwechslung wurde AVE nicht von Nintendo verklagt, sondern zog mit dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung durch den Lockout-Chip selbst vor Gericht und verlangte Schadenersatz. Nach drei Jahren endete das Verfahren mit einem außergerichtlichen Vergleich, dessen Details geheim blieben.

 

  • Blackjack
  • Deathbots
  • Double Strike
  • Dudes with Attitude
  • F-15 City War
  • Impossible Mission II
  • Krazy Kreatures
  • Maxi 15 (auch in Australien – aber mit 2 anderen Games – erschienen, dort von H.E.S. publiziert)
  • Mermaids of Atlantis (die jugendfreie Version von „Bubble Bath Babes“)
  • Puzzle
  • Pyramid
  • Rad Racket – Deluxe Tennis II
  • Solitaire
  • Tiles of Fate
  • Trolls on Treasure Island
  • Ultimate League Soccer
  • Venice Beach Volleyball
  • Wally Bear and the No! Gang

 

Tengen

Eine bizarre On-Off-Beziehung mit Nintendo hatte die Atari-Tochterfirma „Tengen“. Nach gescheiterten Verhandlungen mit Nintendo über eine Lockerung der Bedingungen für die Lizenzerteilung beugte sich Tengen zunächst und veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem japanischen Spieleentwickler Namco vier lizenzierte NES-Games: Indiana Jones and the Temple of Doom (in Kooperation mit Mindscape), Gauntlet, Pac-Man und R.B.I. Baseball. Danach beschloss Namco jedoch, selbst in die USA zu expandieren. Zudem arbeitete Tengen im Geheimen intensiv weiter an der Überbrückung des Lockout-Chips. Diese Story ist ein überaus faszinierendes Kapitel für sich und würde hier den Rahmen sprengen. Doch kann verraten werden, dass Tengens Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt waren, was eine Klage von Nintendo nach sich zog. Auch wegen eines Streits über das Copyright zu Tetris sahen sich Tengen und Nintendo vor Gericht. Insgesamt veröffentlichte Tengen 20 Spiele (inklusive unlizenzierter Versionen der zuvor bereits lizenziert veröffentlichten vier NES-Games).

 

  • After Burner
  • Alien Syndrome
  • Fantasy Zone
  • Gauntlet (sowohl lizenziert als auch unlizenziert erschienen)
  • Indiana Jones and the Temple of Doom (sowohl lizenziert als auch unlizenziert erschienen)
  • Klax
  • Ms. Pac-Man
  • Pac-Man (sowohl lizenziert als auch unlizenziert erschienen)
  • Pac-Mania
  • R.B.I. Baseball (sowohl lizenziert als auch unlizenziert erschienen)
  • R.B.I. Baseball 2
  • R.B.I. Baseball 3
  • Road Runner
  • Rolling Thunder
  • Shinobi
  • Skull & Crossbones
  • Super Sprint
  • Tetris
  • Toobin´
  • Vindicators

 

Camerica

Der englische Spieleentwickler zeigte erst spät Expansionsbestreben auf den Konsolenmarkt. In den 80er Jahren produzierte man Games für verschiedene PC-Modelle (beispielsweise Amstrad und ZX Spectrum). Für eine Veröffentlichung auf dem NES wurden zunächst mehrere dieser Spiele auf das 8-Bit-Format umprogrammiert. Später kamen auch speziell für das NES produzierte Titel hinzu. Für den Sprung auf den amerikanischen Markt benötigte Codemasters einen starken Partner und fand diesen im Spielwaren-Unternehmen „Galoob“. Diesem Unternehmen gehörten auch die Rechte am Spielzeug „Micro Machines“ – so kam es übrigens zu den gleichnamigen Konsolenspielen. Neben NES-Games wurde auch ein ganz spezielles Zubehör entwickelt: der Game Genie. Dieser stellte nach Ansicht von Nintendo aber einen Eingriff ins Copyright der lizenzierten Nintendo-Spiele dar und zog eine Gerichtsklage nach sich. Der Vertrieb des Game Genie wurde per Gericht bis zu einem Urteil auf Eis gelegt. Camerica wartete zudem den Ausgang dieser Klage ab, bevor Spiele veröffentlicht werden sollten. Zwar gewann Camerica vor Gericht und Nintendo wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 15 Millionen Dollar verurteilt, doch bedeutete dieses eine Jahr Zeitverlust einen herben Rückschlag für Camerica. Mittlerweile kündigte sich nämlich bereits das Super Nintendo an und Codemasters / Camerica unterschätzte den Wandel im Konsumverhalten der Konsolen-Fans. So wurde schließlich der „Aladdin Deck Enhancer“, mit dem man eigentlich enorme Kosten bei der Herstellung von Spielen einsparen wollte, zum Debakel – die Pleite von Codemasters amerikanischem Vertriebspartner trug sein Übriges dazu bei. Eigentlich sollten sämtliche bisherigen Codemasters-Games sowie weitere, neue in diesem Cartridge-Format veröffentlicht werden. Letztlich wurden es aber nur sechs alte sowie ein neues, exklusives Game.

 

  • Bee 52
  • Big Nose Freaks Out
  • Big Nose the Caveman
  • Dizzy the Adventurer (nur für den Aladdin Deck Enhancer)
  • The Fantastic Adventures of Dizzy
  • Fire Hawk
  • Linus Spacehead´s Cosmic Crusade (in Großbritannien als „Cosmic Spacehead“ erschienen)
  • Micro Machines
  • Mig 29 Soviet Fighter
  • Quattro Adventure
  • Quattro Arcade
  • Quattro Sports
  • Stunt Kids
  • The Ultimate Stuntman

 

Sonstige

79 Games sind bereits aufgezählt, kommen wir also zu den übrigen 12:

Vom Publisher „Panesian“ gab es drei NES-Games der eher ungewöhnlichen Art – es handelt sich dabei um erotisch angehauchte 8-Bit-Spiele für Erwachsene, die nur in den entsprechenden Abteilungen in Videotheken erhältlich waren:

  • Bubble Bath Babes
  • Hot Slots
  • Peek A Boo Poker

„American Game Carts Inc.“ (ACGI) brachte ebenfalls nur drei NES-Games auf den US-amerikanischen Markt. Nach dem Ende jenes Unternehmens gründete dessen Vizepräsident übrigens „AVE“.

  • Chiller
  • Death Race
  • Shockwave

Dann wäre da noch das „Action 52“-Multi-Cartridge aus US-amerikanischer Produktion sowie „The Cheetahmen II“, die Fortsezung zum bekanntesten der 52 qualitativ minderwertigen Games. Beides wurde vom Publisher „Active“ entwickelt und vertrieben.

Das „6 in 1“-Cartridge von Caltron ist in der Aufzählung doppelt zu nennen. Nach der Insolvenz des Vertreibers Caltron kaufte die Firma Myriad die Konkursmasse auf und brachte die restlichen Cartridges nochmals auf den Markt – der einzige Unterschied ist ein Sticker, der auf das ursprüngliche Label geklebt wurde. Dieser Aufkleber bringt in Sammlerkreisen bis zu mehreren hundert Dollar Preisunterschied.

Der von AVE publizierte Titel „Impossible Mission II“ erschien in den USA noch ein zweites Mal – vom Unternehmen SEI wurden zwar Cartridges produziert, doch ging die Firma vor dem Vertrieb derselbigen bankrott. Die Cartridges tauchen in den Staaten vereinzelt aber noch auf.

Zuallerletzt ist noch eine absolute Kuriosität zu nennen: Race Mate Challenge II. Dabei handelt es sich um einen Heim-Fahrrad-Trainer mit entsprechendem Equipment (samt Cartridge).