Unlizenzierte PAL-Games (Europa & Australien)

von Björn Eimer


Nintendo war der Phönix, der Mitte der 80er Jahre aus der Asche des Videospielmarktes emporstieg. Wenige Jahre zuvor hatte das Ende von Atari im Video Game Crash den Zukunftsträumen der Spieleentwickler einen heftigen Dämpfer verpasst. Zu viele schlechte Spiele auf zu vielen Konsolen ließen die Fans den Überblick verlieren. In den Jahren 1983-85 fehlten noch die Möglichkeiten zu ausgiebiegen Game-Kritiken und einem ordentlichen Meinungsaustausch innerhalb der Fangemeinde. Als Folge brachen die Verkaufszahlen schnell und rapide ein.

Doch dann kam das NES. Nintendo war sich der Fehler der Vorgänger bewusst und achtete sehr genau darauf, dass das Angebot an Spielen nicht Überhand nahm. Nur ausgewählten Spieleentwicklern wurde eine Lizenz zur Produktion von NES-Games erteilt. Zudem gab es klare Beschränkungen, wieviele neue Games ein Lizenznehmer veröffentlichen durfte: nur fünf pro Jahr.

 

Dies hielt die abgewiesenen Spieleentwickler natürlich nicht davon ab, dennoch aktiv zu werden und unlizenzierte NES-Games auf den Markt zu bringen. Nintendo zeigte sich dabei zwar sehr klagewütig, doch war ihr juristisches Vorgehen nur von begrenztem Erfolg. Im Laufe der Jahre gelang Nintendo das angestrebte Ziel dann aber stattdessen im technischen Bereich – auf dem Super Nintendo sollte es lediglich ein unlizenziertes Spiel geben (den Wolfenstein-Klon „Super Noah´s Ark 3D“), auf späteren Konsolen gar keine mehr. Beim NES sah dies aber noch anders aus: 91 unlizenzierte Games erschienen während der Lebensdauer des Nintendo Entertainment System in den USA, Piratenmodule und spätere Erscheinungen nicht mitgerechnet. So manches davon schwappte auch auf den europäischen Markt hinüber, wenn auch längst nicht so viel. Und zu diesen Kuriositäten gibt es hier die Hintergründe.

 

GLUK

Das spanische Unternehmen Photopak SA entschied sich 1992 zur Gründung des Videospiel-Labels „Gluk“. Unter diesem Namen wurden neben Clone-Konsolen des NES auch Games der taiwanesischen Publisher NTDEC und Micro Genius veröffentlicht. Im ersten Schub dieser Zusammenarbeit kamen sechs Spiele auf den spanischen Markt (allesamt schwarze Cartridges):

  • Creatom
  • F-15 City War (auch in den Vereinigten Staaten von AVE und in Australien von H.E.S. veröffentlicht)
  • Gluk the Thunder Warrior
  • Policeman
  • Puzzle (auch in den Vereinigten Staaten von AVE veröffentlicht)
  • Volley Ball

 

Diese Spiele wurden unverändert vom taiwanesischen Markt übernommen – außer dass die Cartridges vom Famicom-Format auf das westliche NES-Format (Größe sowie von 60 auf 72 Pins) angepasst wurden. Die einzige Änderung wurde bei „Gluk the Thunder Warrior“ in Auftrag gegeben. Das Aussehen der Spielfigur wurde von einem unauffälligen, grünhaarigen Charakter zu einer Art grüner Ameise umprogrammiert. Diese Ameise sollte zeitgleich das Maskottchen von Gluk werden und trägt passenderweise den selben Namen.

 

Bei der nächsten Gruppe von Spielen gab es ein Missverständnis bei der Bestellung. Der taiwanesische Hersteller hatte einige Cartridges bereits mit Aufklebern versehen, doch wollte Gluk seine eigenen auf den Spielen sehen. Somit wurden Gluk-Sticker einfach über die vorigen Labels geklebt, was deutlich zu sehen ist. Beim Spiel „El Monstruo de los Globos“ gibt es zwei Varianten bei der Spielmusik. Den Cartridges ist allerdings nicht anzusehen, um welche Version es sich jeweils handelt.

 

Die weiteren Veröffentlichungen von Gluk zwischen 1992 und 1995 waren:

  • Adan y Eva (Adam & Eve, auch auf der 6 in 1-Caltron-Cartridge aus den USA enthalten)
  • Booky Man (auch auf der 6 in 1-Caltron-Cartridge aus den USA enthalten)
  • Corre Benny (Go Benny!)
  • Cosmos Cop (auch auf der 6 in 1-Caltron-Cartridge aus den USA enthalten)
  • El Bloque Magico (Magic Block)
  • El Destructor (Destroyer)
  • El Monstruo de los Globos (Balloon Monster, auch auf der 6 in 1-Caltron-Cartridge aus den USA enthalten)
  • La Alfombra Magica (Magic Carpet 1001, auch auf der 6 in 1-Caltron-Cartridge aus den USA enthalten)
  • La Gran Aventura Submarina (Sea of Dreamland)
  • La Guerra del Golfo (War in the Gulf)
  • Skate Boy
  • Tanque (Tank)

 

Neben diesen 18 „exklusiven“ Spielen gab es noch eine Reihe von Pirate Cartridges bekannter NES Games auf Einzel- oder Multi-Cartridges und auch mancher Kuriositäten – hierzu zählen „Battle City“ und „3 in 1 Supergun“. „Battle City“ ist ein lizenziertes Famicom-Game, das jedoch nie den Weg auf den westlichen Videospielmarkt fand. Bei „3 in 1 Supergun“ handelt es sich um eine Multi-Cartridge mit drei unlizenzierten Zapper-Games (Clown, Shooter und Snake Charmer). Bei diesen Veröffentlichungen von Gluk die Übersicht zu behalten, ist kaum möglich.

1995 erzielte Nintendo vor Gericht schließlich eine einstweilige Verfügung, die den weiteren Vertrieb der Clone-Konsolen samt der Spiele untersagte – dies bedeutete das Ende für Gluk.

Was (außer in Spanien auch in anderen europäischen Ländern) mit zahlreichen Clone-Konsolen geschah, ist hier zu sehen:

Gluk war ausschließlich in Spanien vertreten und erfreute sich dort auf Grund der günstigen Alternative zu den lizenzierten NES-Spielen einiger Beliebtheit. Durch das Internet wurde die europäische Retrogame-Sammlergemeinde auf diese spanischen Produkte aufmerksam, was die Preise für einzelne Games stark ansteigen ließ.

 

CODEMASTERS

Codemasters ist ein englischer Spieleentwickler und entspricht auf dem Konsolenmarkt in etwa einem Kerl, der zu spät auf eine Tanzparty kommt und sich wundert, warum keine Tanzpartnerin mehr verfügbar ist. Codemasters produzierte in den 80er Jahren Spiele für verschiedene PC-Modelle (Amstrad und Sinclair ZX Spectrum). Auf den Konsolenmarkt wurde man erst spät aufmerksam und entwickelte mehrere Games für den US-Markt. Hierbei handelte es sich meist um auf 8-Bit-Format aufgewertete Versionen ihrer älteren PC-Games. Zum Vertrieb der Codemasters-Games in den Vereinigten Staaten und zum Rechtsstreit mit Nintendo ist der entsprechende Abschnitt im Artikel zu den „Unlicensed US-Games“ zu empfehlen. In Europa bemühte sich Codemasters zeitverzögert ebenfalls um eine Veröffentlichung ihrer Spiele. Hierbei konzentrierte man sich zunächst auf Großbritannien, wo das Unternehmen – insbesondere mit seiner Gallionsfigur Dizzy – bereits einige Bekanntheit erlangt hatte. Vorsorglich wurden die Verpackungen der europäsichen Games mehrsprachig bedruckt. Zudem entschied man sich für ein anderes Design als das der goldfarbenen US-Codemasters-Cartridges. In Großbritannien erschienen acht Titel, auf das europäische Festland sollten es diese nicht mehr schaffen, da zu jenem Zeitpunkt bereits das Super Nintendo auf dem Markt war und das NES bald verdrängen sollte.

Drei der Spiele (Dizzy, Micro Machines, Super Sports Challenge (letzteres in zwei Label-Varianten) erschienen außer in den schwarzen Cartridges auch in einem Aufsteck-Format, wie es das Game Genie-Modul darstellt. Einen besonderen Unterschied gibt es dabei in der Programmierung von „The Fantastic Adventures of Dizzy“ – die erste Version (aus den USA) wirkt bezüglich Bewegung und Musik etwas langsam. Wahrscheinlich wurde sie im 50 Hertz / PAL-Modus programmiert, jedoch im 60 Hertz / NTSC-Bereich veröffentlicht. Das Aufsteck-Format stellt Version 2 dar, nun in vernünftigem Tempo. Zudem muss Dizzy nun 250 statt der 100 ursprünglichen Sterne einsammeln. Diese Version 2 entspricht auch der Dizzy-Version auf dem Aladdin Deck Enhancer in den Vereinigten Staaten. Außerdem gibt es auch noch eine Version 3 – mehrsprachig und nur in Großbritannien (auf der schwarzen Cartridge) veröffentlicht.

 

  • Cosmic Spacehead (in den USA als „Linus Spacehead´s Cosmic Crusade“ erschienen)
  • The Fantastic Adventures of Dizzy
  • Fire Hawk
  • Micro Machines
  • Mig 29 Soviet Fighter
  • Super Adventure Quests (Boomerang Kid, Super Robin Hood, Treasure Island Dizzy, Linus Spacehead – in den USA als „Quattro Adventure“ erschienen)
  • Super Sports Challenge (Baseball Pro´s, Soccer, Pro Tennis, BMX Simulator – in den USA als „Quattro Sports“ erschienen)
  • The Ultimate Stuntman

 

H.E.S.

Das australische Unternehmen „Home Entertainment Suppliers“ besteht seit 1984 und konzentrierte sich nach Veröffentlichungen von Spielen für Commodore und Atari auch auf Nintendo. Für das NES wurden insgesamt 27 Einzel- und Multicartridges auf den Markt gebracht. Hierfür übernahm H.E.S. Spiele verschiedener Publisher aus den USA und Fernost – darunter AVE, Color Dreams, Tengen und Sachen. Manche dieser H.E.S.-Games bewegen sich heutzutage preislich sogar in höheren Dimensionen als die europäischen Juwelen „Mr. Gimmick“, „Phantom Air Mission“ oder „Snowboard Challenge“. Zudem veröffentlichte H.E.S. auch NES-Zubehör, das ebenfalls hohe Preise auf dem Sammlermarkt erzielt.

Das Besondere an den H.E.S. Games ist teilweise die bizarre Form, die sie von sämtlichen NES-Veröffentlichungen weltweit unterscheidet. Im Laufe der Zeit passte H.E.S. die Form der Cartridges an den weltweit üblichen Standard an. Manche der publizierten Titel gibt es auch in den USA und anderen Regionen, doch sind einige Titel NES-exklusiv. Das bekannteste Spiel dürfte dank der „Angry Video Game Nerd“-Folge wohl „Little Red Hood“ sein.

 

  • 2 Pack Special (Magexa Soccer & Super Sprint)
  • 4 in 1 Funblaster Pack (Pipemania, Twin Eagle, Metal Fighter, Little Red Hood)
  • 4 in 1 Mindblower Pack (Math Quiz, Jackpot, Arctic Adventure, Galactic Crusader)
  • 4 in 1 Total Funpak (Pacman, Sidewinder, Duck Maze, Othello)
  • 6 in 1 Real Player´s Pak (australische Version der 6 in 1-Caltron-Multicartridge aus den USA)
  • Arctic Adventure
  • Chiller
  • Death Race
  • Duck Maze
  • F-15 City War
  • Impossible Mission 2
  • International Ultimate League Soccer (alternativer Titel: Magexa Soccer)
  • Jackpot
  • Little Red Hood
  • Maxi 15 (neben Chiller, Death Race und F-15 City War noch 12 weitere Games, die in Australien nur auf dieser Cartridge enthalten waren)
  • Othello
  • Pac-Man
  • Pipemania
  • Pyramid
  • R.B.I. Baseball
  • Raid 2020
  • Side Winder
  • Silent Assault
  • Super Sprint
  • Toobin´
  • Twin Eagle (nicht zu verwechseln mit dem lizenzierten US-Game identischen Namens)
  • Vindicators

 

HYPERBOY und andere

Außer diesen drei großen Vertreibern unlizenzierter NES-Spiele in den PAL-Regionen gab es sicher noch einige weitere, kleinere Veröffentlichungen. Darunter ist auch das hier bereits mehrfach erwähnte „6 in 1-Caltron-Cartridge“ zu nennen, das in Frankreich vom Publisher „Hyper Boy“ vertrieben wurde. Weitere Infos zum Multicart oder zum Publisher waren nicht zu finden. Auch war eine Veröffentlichung der US-amerikanischen Multicartridge „Action 52“ in Europa zumindest geplant. Aus den USA planten manche Unternehmen den Sprung über den Atlantik. „Color Dreams“ ließ zumindest das Manual für das Spiel „Menace Beach“ dreisprachig drucken, doch wurde nichts aus einem Verkauf in Europa – auch wenn die Color Dreams-Cartridges wohl auf den PAL-Konsolen funktionieren (allerdings möchte der Autor dieses Artikels dafür nicht garantieren).
In einem Interview mit nesworld.com erzählte der frühere AVE-Präsident Richard Frick, dass man für Games von „American Video Entertainment“ Vertriebspartner in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden gehabt habe. Die Kompabilität der US-Cartridges mit den europäischen Nintendo-Konsolen gestaltete sich jedoch äußerst schwierig. Inwiefern diese Games dennoch auf den europäischen Markt gelangten, wurde in jenem Interview leider nicht weiter ausgeführt.

 

Wer weitere Informationen, Ergänzungen oder gar Korrekturen hat, wende sich bitte an die beiden NES Commander, die sich darüber sicher freuen.